Anlässlich unserer veröffentlichten Studie Industrie 4.0: Grundlagenwissen, Experteninterviews und Pioniere erhielt FLYACTS eine Anfrage von IT-MITTELSTAND. Wir bekamen die Chance als Interviewpartner einen redaktionellen Beitrag zu einem aktuellen Artikel über Industrie 4.0 zu leisten. Gern trugen wir unseren Teil zu diesem spannenden Thema bei. An dieser Stelle möchten wir einen ausführlichen Einblick in unsere Antworten geben.
IT-MITTELSTAND: Wie lautet Ihre Definition von Industrie 4.0? Was wird Vision bleiben, welche Szenarien sind praxistauglich und realistisch?
FLYACTS: Industrie 4.0 ist ein Begriff, der 2012 von der Bundesregierung initiiert wurde. Ziel war es augenscheinlich, der eigentlich schon begonnen „4. Industriellen Revolution“ einen Namen zu geben. Gemeint ist damit die fortschreitende Vernetzung von IT und Automationstechnik – so sollen zum Beispiel Maschinen und Geräte nicht nur automatisiert funktionieren, sondern auch eine Art eigene Intelligenz besitzen – smart sein. Nach meiner Ansicht fallen unter Industrie 4.0 alle Umdenkprozesse, neuen Strategien und Maßnahmen, die einfach mit dem Zeitgeist gehen und eine vermehrte Digitalisierung auch in traditionsreichen Branchen und dem produzierenden Gewerbe zulassen. In der Bürowelt und dem privaten Leben sind smarte Geräte schon längst Realität – wieso nicht auch bald in der Industrie? Deshalb glauben wir, dass einige Szenarien heute noch als „nicht praxistauglich“ angesehen werden könnten – in 30 oder 50 Jahren jedoch zum Alltag zählen.
IT-MITTELSTAND: Industrie 4.0 ist eine Schöpfung der Großindustrie und der Politik. Inwieweit besteht die Gefahr, dass der Mittelstand noch mehr zur verlängerten Werkbank wird?
FLYACTS: wir begrüßen den „Push“ seitens der Bundesregierung – wir haben nun ein Schlagwort, welches emotionalisiert und sogar polarisiert. Deshalb herrscht neben euphorischen Stimmen eben auch starke Skepsis. Unbegründet ist dies natürlich nicht: als kleines Unternehmen habe man meist nicht die finanziellen Puffer, um große Veränderungen im Sinne von Industrie 4.0 zeitnah ohne weiteres durchzuführen. Jedoch sind radikale Umstrukturierungen und millionenschwere Investitionen auch nicht das Ziel – das statuiert auch die Bundesregierung. Schritt für Schritt sollen die politischen Visionen von Industrie 4.0 durch geeignete Maßnahmen erreicht werden – die Bundesregierung schätzt, dass große Veränderungen erst bis 2025 realisiert wurden. Deshalb denken wir, dass Industrie 4.0 für alle Unternehmen, egal welcher Größe, von Vorteil sein kann: wenn man offen für die Thematik ist, sich mit ihr auseinandersetzt, mögliche Strategien entwickelt und diese individuell für sein Unternehmen evaluiert und bewusst umsetzt – nicht nur, weil es ein Hype ist. Es gibt durchaus Lösungen, mit denen man „klein anfangen“ kann, ohne die gesamte Produktionshalle neu zu organisieren.
IT-MITTELSTAND: Der Produktionsstandort Deutschland ist mittelständisch geprägt. Inwiefern müssen Politik und Verbände diesem Umstand Rechnung tragen?
FLYACTS: Man könnte jetzt wieder auf die finanziellen Puffer eingehen, über die kleinere Unternehmen weniger verfügen und deshalb schlussfolgern, dass mehr – oder überhaupt gut zugängliche – Fördermittel bereit gestellt werden sollten. Doch in erster Linie ist es wichtig, eine Art Aufklärung zu leisten – zum Beispiel über die Möglichkeiten und Visionen berichten und Informationen öffentlich verfügbar machen, ohne Schubkastendenken oder „die eine Lösung“ aufzuzwingen. Vielleicht müssen da die Verbände und Politik auch mal mit ein bisschen Kreativität kommen: zum Beispiel statt Flyer zu verteilen auch mal ein emotionales Video zu drehen, um die Visionen lebendig werden zu lassen und die große Idee dahinter zu zeigen.
IT-MITTELSTAND: Wenn Kleinserien in ähnlicher Weise gefertigt werden können wie Massenartikel, wie können sich Mittelständler dann überhaupt noch abheben?
FLYACTS: Zukünftig werden Service und Zusatznutzen wie auch die Spezialisierung und Qualität der Erzeugnisse eine noch größere Rolle spielen. Wenn es nur um den Preis ginge, dann würden unsere Güter schon jetzt nur noch aus fernen Ländern kommen, da die Produktionskosten ein Bruchteil unserer sind.
IT-MITTELSTAND: Welche Rolle wird der Mensch in künftigen Produktionsprozessen noch spielen können, wenn Automation und reine Effizienz über allem stehen?
FLYACTS: Der Mensch wird immer eine sehr zentrale Rolle spielen. Neue Jobs und spannende Herausforderungen entstehen. Es wird vielleicht bestimmte Berufsfelder negativ beeinflussen – andere dafür umso positiver. Wie eine Untersuchung der tarakos GmbH ergab, hat sich die Zahl der deutschen Industriebeschäftigten von 1970 bis heute um über 83 Prozent erhöht (von 10,1 Millionen Beschäftigten auf 18,5 Millionen) – trotz – oder vielleicht sogar wegen der steigenden IT-Vernetzung und Automation.
IT-MITTELSTAND: Wer trägt die Kosten für diesen radikalen Wandel? Inwieweit ist Industrie 4.0 für den Mittelstand überhaupt bezahlbar?
FLYACTS: Die anfallenden Kosten sehen wir nicht als „außerordentliche Aufwände“, die nun beispielsweise an die Kunden weitergegeben werden müssen. Jedes Unternehmen muss in der Regel investieren, um die Marktstellung zu halten oder auszubauen. Es ändert sich nun, in welche Positionen man investiert – und das Schritt für Schritt mit einer für das Unternehmen passenden Strategie. So könnte man auch vorerst mit einer kleinen App testen, wie die eigenen Kunden auf die Verwendung smarter Technologien reagieren und dann weiter an der Strategie feilen.
IT-MITTELSTAND: Wo sind die Grenzen von Industrie 4.0? Von welchem Zeitraum für den Wandel sprechen wir?
FLYACTS: Industrie 4.0 ist ein Prozess und kein schlagartiger Umbruch. Heutige Grenzen können in mehreren Jahren überwunden werden. Je nach Unternehmensart, -größe und Geschäftsmodell wird der Wandel – beziehungsweise die Erweiterung – unterschiedlich Zeit in Anspruch nehmen. Das eine Unternehmen hat vielleicht heute schon erste smarte Funktionalitäten ergänzt und ein anderes wird erst in 5 bis 10 Jahren damit beginnen. Und das ist auch in Ordnung – jeder bestimmt hierbei sein eigenes Tempo – nur gänzlich verschließen sollte man sich nicht, denn dann besteht die Gefahr, mögliche Chancen gar nicht zu erkennen.
IT-MITTELSTAND: Wie sind die Software-Anbieter (ERP, MES, PPS) in die Weiterentwicklung von Industrie 4.0 eingebunden?
FLYACTS: Wir entwickeln interaktive Anwendungen, die auf mobilen Endgeräten wie aber auch stationären Rechnern laufen. Damit können wir unterschiedliche Rollen im Industrie 4.0-Kontext übernehmen. Zum einen können wir ganz am Anfang stehen, um mit Unternehmen eine Strategie zu entwickeln, wie man beispielsweise mit einer Service-App die Kundenakzeptanz und –wünsche hinsichtlich smarter Technologien erfahren und testen kann – ohne das tiefgreifende Eingriffe in den Produktionsprozess vorgenommen werden müssen. Zum anderen können wir auch ziemlich weit hinten im Prozess stehen – wenn die Maschinen mit Embedded Systems ausgestattet sind und Cyber-Physical-Systems entstehen, dann kann man Steuerungs- und Optimierungsaktionen über Tablets und Smartphones via App laufen lassen.
IT-MITTELSTAND: Welche Anforderungen werden von mittelständischen Kunden und Anwendern konkret formuliert und was wurde bereits umgesetzt?
FLYACTS: Der Fokus, der bisher an uns gestellten Anforderungen, beschränkt sich momentan noch weitestgehend auf Apps, die zusätzlich zu den bestehenden Produkten und Dienstleistungen der Industrie-Unternehmen angeboten werden. Diese Apps sind noch nicht tief in den Produktionsprozess eingebettet, bringen den Unternehmen aber Erfahrungen und einen Mehrwert, den sie ihren Kunden zusätzlich anbieten können. Das sind beispielswiese Service-Apps zur Auswahl richtiger Betriebsmittel und Werkzeuge, digitale Handbücher zur Wartung etc. Es ist auf jeden Fall Bewegung da und auch der Mut seitens der Unternehmen, Schritte in Richtung Industrie 4.0 zu gehen! Der gesamte Artikel, der aus unserem Interview und denen weiterer Teilnehmer verfasst wurde, kann online auf IT-MITTELSTAND gelesen werden.