„Hallo Hannover“ – Ein Reisebericht.
Mittwoch 06:30 Uhr in Jena:
Die Karawane startet. Für Agenturmitarbeiter wie uns eine eher untypische Zeit, doch Vorfreude und Spannung überwinden die Müdigkeit und auf der dreistündigen Autofahrt in die niedersächsische Hauptstadt wäre ja noch Zeit genug zum Ausruhen.
07:15 Uhr:
Wir erreichen eine Tankstelle am Erfurter Kreuz und sammeln unseren Projektleiter Timo ein, der aufgrund einer kleinen Verzögerung bereits zitternd im frühsommerlichen Schneeregen wartet. Vollzählig ging es fast ohne Zwischenstopps (zwei Frauen an Board) nach Hannover.
10:00 Uhr:
Die Befürchtung, die Streiks bescheren uns überfüllte Messezufahrten und Parkplätze, hat sich zum Glück nicht bestätigt. Entspannt suchen wir uns einen Parkplatz und laufen zur Messe.
10:15 Uhr:
Kurzer Uhrenvergleich (so nennt man das heute, wenn man eine WhatsApp-Gruppe erstellt) und wir teilen uns auf.
Marcus und ich seilen uns ab zu einem Kennenlerntermin beim Vogelverlag. Die Mediengruppe ist Herausgeber vieler Fachzeitschriften (u.a. MaschinenMarkt und elektrotechnik) und organisiert bereits zum fünften Mal den automation app award. Marcus wird in diesem Jahr als Jurymitglied die eingereichten Apps mit bewerten. Später mehr.
12:15 Uhr:
Die Automations-Halle ist abgegrast und alle Industrie-Apps inspiziert. Die Aussteller berichten uns bspw. von einer App, die über den eingebauten Sensor hört, ob eine Pumpe Einsparpotenzial hat – bis hin zu vielen Fernwartungs- und Echtzeit-Controlling- Anwendungen. Wir suchen Anne und Timo. Die sitzen bereits auf den Stühlen des „Forum Industrie 4.0 meets the Industrial Internet“. Eine große Bühne eigens eingerichtet, um über die allgegenwärtige Industrie 4.0 zu referieren, argumentieren und diskutieren. Einige Veranstaltungen wurden simultan in verschiedene Sprachen, u.a. auch in Gebärdensprache, übersetzt. Daumen hoch für so viel Engagement.
12:30 Uhr:
Wir hören einen Vortrag über die Anforderungen an Softwarelösungen für die Produktion. Der Referent (Karl M. Tröger von der PSI AG – Software für Versorger und Industrie) startet mit dem Vorsatz, in den nächsten 30 Minuten die Angst vor der Industrie 4.0 nehmen zu wollen. Wir sind gespannt. Plakativ beginnt er mit einer Situation, die er oft erlebt. „Interessenten kommen an unseren Stand und fragen: Was muss ich kaufen oder machen, um Industrie 4.0 zu haben?“ Diese Aussage sorgt bei allen Zuschauern für ein Lächeln. Evtl. kann der ein oder andere ein Lied von solchen Kunden singen. Natürlich ist die Antwort auf diese Frage nicht ganz so leicht. Das wird vor allem an den vollgeschriebenen Folien seines Vortrages deutlich. Er spricht häufig von Integration – horizontal als auch vertikal. Er macht deutlich, dass sich Unternehmen ein Stück weit für ihre Geschäftspartner öffnen müssen und Informationen über bspw. Materialverfügbarkeit oder Maschinenauslastung preisgeben sollten, um so zum Beispiel der horizontalen Vernetzung gerecht zu werden. Besonders auffällig macht Karl Tröger deutlich, dass die Technisierung bzw. Digitalisierung der Arbeit menschenzentriert geschehen sollte. Man müsse dabei sowohl kulturelle und sprachliche Aspekte als auch die Fähigkeiten der Anwender beachten. Darüber hinaus ließen sich mit der Digitalisierung auch Menschen integrieren, die eine bestimmte Arbeit evtl. sonst nicht verrichten können. Ein schöner Abschluss des informativen Vortrages.
13:00 Uhr:
Unsere Mägen knurren und wir beschließen fast einstimmig, etwas essen zu gehen. Marcus bleibt beim Forum Industrie 4.0, um die anschließende Podiumsdiskussion über Softwarekompetenz als Schlüsseldisziplin in der Industrie zu hören. Prof. Claus Oetter (stellv. Geschäftsführer im Fachverband Software im VDMA) ist Podiumsredner und ebenso Teil der automation app award Jury.
14:00 Uhr
Frisch gestärkt erkunden Timo, Anne und ich Halle 4 und besuchen Austeller aus unserer Region. Nach einem spannenden Gespräch über eine Smart Home-Installation aus Zwickau gehen wir zurück zum Forum Industrie 4.0, um der Podiumsdiskussion über Bildung und Qualifizierung 4.0 zu lauschen.
15:00 Uhr
Die Diskussion beginnt. Deutschlandradio-Moderator Gerhard Schröder leitet die Gesprächsrunde ein und vermittelt zwischen den Rednern, die unter anderem in den Unternehmen Airbus oder Robert Bosch als Führungskraft oder als Betriebsratsmitglied arbeiten. Die Beteiligten betonen einstimmig die menschenzentrierte Komponente, die auch im Vortrag zuvor bereits aufkam. Industrie 4.0 funktioniere nur mit den Mitarbeitern und zwar über alle Altersklassen. Vor allem die älteren Arbeiter müssen besonders abgeholt werden. Es sei wichtig, dass es keine Verlierer- und Gewinnerseite gibt und niemand dürfe abgehangen werden. Auch halten gleich mehrere Teilnehmer fest, dass Deutschland mit seinem dualen Ausbildungssystem sehr gut gerüstet sei, um die Qualifizierung 4.0 voranzutreiben. Allerdings gelte auch hier, nicht den Anschluss zu verlieren und bspw. Berufsschullehrer stetig weiterzubilden. Schwieriger sei eher die Aus- und Weiterbildung in den Betrieben. Man brauche bspw. Lernfabriken oder ähnliche Konzepte. Interessant war die Erzählung, dass die Einführung einer neuen Technologie in der Kantine unter der Belegschaft eher angenommen wurde, als es teilweise im Arbeitsumfeld der Fall war. Die Arbeiter bemerkten, dass die Mittagspause effizienter genutzt werden konnte und sie die kostbare Zeit nicht mit Warten verbrachten. Wir finden diese Erkenntnis äußerst interessant und sind gespannt, wie sich dies evtl. zukünftig integrieren lässt. Darüber hinaus berichteten die Teilnehmer, dass sie derzeit verschiedene Maßnahmen probieren, konkreter wurde es an der Stelle leider nicht.
16:00 Uhr:
Ein Kaffee muss her, um mit neuer Kraft die restlichen vorgenommenen Ziele anzusteuern.
16:10 Uhr:
Wir finden Marcus wieder und er gesellt sich zu unserem netten Kaffee-Auswertungs-Plausch.
16:30 Uhr:
Wir starten in die letzte Runde. Timo und Marcus interessieren sich für eine weitere Podiumsdiskussion und Anne und ich grasen noch ein paar Stände ab. Neugierig stürzen wir uns auf jedes Tablet und Smartphone, das uns entgegen leuchtet. Allerdings – und jetzt folgt Erkenntnis Nummer 1: Selbst auf der Hannover Messe, der Weltleitmesse der Industrie nutzen nur wenige Aussteller mobile Endgeräte, um ihre Standpräsentation zu unterstützen.
17:00 Uhr:
Wir laufen zurück zum Auto und ziehen unser Fazit. Neben den Wörtern „effizienter“, „wirtschaftlicher“ und „schneller“ blinkte Industrie 4.0 nahezu von jedem Stand. Wir freuen uns, dass der Digitalisierung so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird. Es scheint, als sei der Begriff in der Fachwelt angekommen. Alle wollen sie, alle sprechen von ihr und alle werben mit ihr.
Doch auffällt ebenso, dass bisher wenige ihre Potenziale intensiv ausschöpfen. Man merkt, dass sich was dreht, jedoch stehen viele noch am Anfang. Hauptsächlich begegneten uns Service-Anwendungen im industriellen Kontext. Die Anwendungen sind oft sehr simpel und doch genial zugleich. Denn sie bieten den Kunden erhebliche Vorteile. Ein Anfang ist also gemacht.
Ein letztes Fazit. Die Industriebranche scheint sich in Bezug auf Industrie 4.0 in zwei Lager aufzuteilen: Die absoluten Vorreiter, die bereits über die Service-Anwendung hinaus sind. Und die Nachzügler, die allerdings mehr und mehr Bedarf erkennen und vor allem mit Anwendungen im Service-Bereich beginnen.
Eindrücke von der Hannover Messe 2016: